Nio ET5 im Fahrbericht: Premiumgenuss aus Fernost

Mit dem Nio ET5 zeigt sich wieder einmal, dass China mittlerweile problemlos auf europäischem Niveau agieren kann – teilweise sogar besser. Die Limousine bringt frischen Wind in die Premiumklasse.

Design: Eleganz trifft auf futuristische Funktionalität

Schon bei der Optik kann der Nio ET5 als potenzieller Gegner von 5er-BMW und Audi A6 absolut mithalten. Die Luxus-Variante in Form des ET7 durften wir bereits fahren. Das Design ist clean und elegant, verzichtet im Gegensatz zur deutschen Konkurrenz auf angriffslustige Ecken und Kanten. Trotzdem wirkt der Nio ET5, besonders in der Seitenlinie, sportlich modern. Die schmalen LED-Frontlichter verleihen dem Fahrzeug ein individuelles, futuristisches Gesicht. Auch das Heck wirkt gefällig und wird durch die durchgehende LED-Leiste in seiner Breite und Präsenz zusätzlich verstärkt.

Ein unverwechselbares Merkmal des ET5 ist jedoch ein anderes Detail: Die Armada an Sensoren und Kameras, die im Dach verbaut sind und den Nio-Modellen die charakteristischen „Teufelshöcker“ verleihen. Unter der Haube arbeitet ein Hochleistungssystem, das die Umgebung in absoluter Präzision verarbeitet und so für ein sicheres Fahrerlebnis sorgt. In China ist dieses System sogar deutlich autonomer als in Europa, wird aber hierzulande durch strengere Regularien eingeschränkt.

Innenraum: Skandinavische Zurückhaltung trifft auf innovative Technik

Der Innenraum des Nio ET5 wirkt hell und einladend. Die Materialauswahl ist hochwertig und vermittelt fast einen zurückhaltenden skandinavischen Touch. Die Verarbeitung lässt keine Wünsche offen; alles ist stimmig und sorgfältig verbaut. Ein kleines Cockpitdisplay informiert über die wichtigsten Fahrinformationen, während die Hauptzentrale in Form eines 12,8-Zoll-AMOLED-Touchscreens in der Mittelkonsole thront.

Ein Höhepunkt im Innenraum ist „Nomi“, der Avatar von Nio. Dieser kleine, bewegliche Bildschirm kommuniziert direkt mit Fahrer und Beifahrer. Mit niedlicher Stimme wacht Nomi über die Passagiere, wippt im Takt der Musik oder ermahnt, wenn die Fahrt zu lange dauert. Für Europa hat Nio das System entschärft, sodass Nomi nun deutlich toleranter erscheint – ein kluger Schachzug, der dem europäischen Geschmack entgegenkommt.

Interessant ist, dass Nomi den Fahrer davor warnt, zu lange am Touchscreen zu hantieren, und somit ganz neutral auf die Gefahren von Bediensystemen ohne haptisches Feedback hinweist. Trotz der Bemühungen, das System intuitiv zu gestalten, sind einige Bedienfelder immer noch zu tief in Untermenüs verschachtelt – eine branchenweite Kritik.

Für die, die sich partout nicht von einem niedlichen Avatar anstarren lassen möchten, bietet Nio die Option „Nomi Halo“ an. Als bekennender Nomi-Fan rate ich jedoch davon ab. Auch die Ambientebeleuchtung ist ein echtes Highlight und lässt sich individuell auf den eigenen Geschmack einstellen.

Komfort: Luxus für alle Insassen

Beim Komfort punktet der Nio ET5 mit einer Vielzahl von Features: Sitzkühlung und -heizung, Massagefunktionen, Panoramabeleuchtung, ein Dolby Atmos 1000-Watt-Soundsystem und das 1,28 Quadratmeter große Panoramadach sind nur einige der Höhepunkte. Positiv zu erwähnen ist, dass Nio auf fingerunfreundlichen Klavierlack verzichtet und stattdessen auf einen sogenannten „Clean Polymer“-Werkstoff setzt. Auch bei den Textilien zeigt sich Nio nachhaltig: Hier kommen recycelte PET-Flaschen zum Einsatz.

Antrieb und Leistung: elektrische Kraft im Überfluss

Der Kunde hat die Wahl zwischen einer 75 kWh und einer 100 kWh Batterie. Maximal sind laut Hersteller bis zu 590 Kilometer Reichweite möglich. In der Realität erreichten wir unter Idealbedingungen und bei Richtgeschwindigkeit etwa 350 Kilometer – Hamburg-Berlin plus Puffer. Das kann sich sehen lassen, besonders im Vergleich zu vielen europäischen Mitbewerbern, die unter realen Bedingungen oft weniger Reichweite bieten.

Der 489 PS starke Nio ET5 verfügt serienmäßig über Allradantrieb und beschleunigt in gerade mal vier Sekunden von 0 auf 100 km/h. Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 200 km/h – hier zieht Nio die elektrische Bremsleine. Trotz eines Gewichts von über zwei Tonnen kommt der ET5 bei einer Vollbremsung aus 100 km/h nach nur 33,8 Metern zum Stillstand. Das Allradsystem besteht aus zwei Elektromotoren: einem 150 kW Induktionsmotor an der Vorderachse und einem 210 kW Permanent-Magnet-Motor an der Hinterachse.

Das sorgt für eine sportliche Auslegung, und dank des tiefen Schwerpunkts und der 50:50-Gewichtsverteilung meistert der ET5 auch dynamische Kurvenfahrten souverän. Neun Fahrmodi bereiten Fahrer und Fahrzeug auf jede Situation vor – vom „Sport+“-Modus mit maximaler Leistung bis zum Anhänger-Modus, der bis zu 1,4 Tonnen gebremster Last bewältigen kann.

Preismodelle: Flexibilität und Innovation

Nio bietet für den ET5 ein flexibles Preismodell, das sich von traditionellen Ansätzen unterscheidet. Der Basispreis für den Nio ET5 startet bei etwa 49.000 EUR, wobei die Batterie nicht im Kaufpreis enthalten ist. Kunden haben die Wahl, die Batterie entweder separat zu erwerben oder das sogenannte „Battery-as-a-Service“ (BaaS) Modell zu nutzen. Beim BaaS-Modell sinkt der Einstiegspreis des Fahrzeugs auf etwa 39.000 EUR, während für die Batterie eine monatliche Mietgebühr anfällt, die je nach gewählter Batteriekapazität variiert.

Diese Flexibilität ermöglicht es den Käufern, ihre Anschaffungskosten zu senken und gleichzeitig von zukünftigen Batterie-Upgrades zu profitieren. Nio setzt damit auf ein zukunftsorientiertes Konzept, das den Nutzern erlaubt, stets auf dem neuesten Stand der Technik zu bleiben, ohne dass sie sich um die Alterung der Batterie sorgen müssen.

Battery Swap: Ein Game-Changer mit Zukunftspotenzial

Eine Besonderheit von Nio ist der „Battery Swap“. An speziellen Stationen kann der Akku innerhalb von rund fünf Minuten ausgetauscht werden, und die Fahrt geht mit vollem Akku weiter. In China ist das Netz dieser Stationen bereits hervorragend ausgebaut und erfreut sich großer Beliebtheit. In Europa, insbesondere in Deutschland, hapert es jedoch noch, primär aufgrund der rechtlichen Rahmenbedingungen, sodass sich die Anzahl der Stationen aktuell noch im einstelligen Bereich bewegt.

Nio zeigt sich optimistisch und hofft, bis 2025 ein flächendeckendes Netz aufzubauen. Bis dahin bleibt der „Game-Changer“ noch unter seinen Möglichkeiten, und Vielfahrer müssen sich mit der nicht mehr zeitgemäßen Ladeleistung von 130 kW an der Ladesäule zufriedengeben. Doch es ist zu erwarten, dass Nio bald ein ordentliches Plus an Ladeleistung nachrüstet. Daher könnte es sich lohnen, bei Interesse noch ein wenig abzuwarten.

Fazit: Ein starker Herausforderer auf dem europäischen Markt

Mit dem Nio ET5 schickt sich der chinesische Hersteller an, den europäischen Markt zu erobern – und das gar nicht schlecht. Mit einer bereits jetzt schon breit aufgestellten Fahrzeugpalette und innovativen Technologien könnte Nio längst bald eine ernst zu nehmende Konkurrenz für etablierte Marken darstellen.

Fanaticar Magazin | Fotos: MarioRoman Pictures