Kein Chauffeur. Bei diesem Rolls-Royce nehmen Sie den Sitz in der ersten Reihe, direkt hinter dem Lenkrad, ein. Die sichtbaren Auspuff-Endrohre zeigen klar und deutlich an, dass bei diesem fahraktiven Luxus-Automobil das Selbstlenken erwünscht ist.
Sieg für BMW. Mit der Übernahme von Rolls-Royce im Jahre 2000 ging der deutsche Hersteller ein nicht gerade geringes Image- und Businessrisiko ein. Als Daimler 2002 nachlegte und den Maybach wiederbelebte, entwickelte sich auf dem Markt der absoluten High-End-Limousinen ein Zweikampf um die Gunst der Ultrareichen dieser Welt.
Stand heute: Maybach ist tot. Rolls-Royce ist ein begehrtes Statussymbol bei der Klientel. Egal, ob Sie in Hamburg, London, den USA oder Abu Dhabi sind: In Kreisen alten Geldadels, neu vermögender Hip Hop Stars oder bei der Öl-Elite ist die Marke im Zeichen der Emily erste Wahl, wenn es um die Anschaffung eines Fahrzeuges dieser Klasse geht.
Das mag an der nahezu lückenlosen Modellhistorie liegen, die für wenige Interessenten, wie traditionell denkende Engländer, immer noch ein Kaufargument ist. Der Hauptgrund ist aber ganz einfach: Ein Rolls-Royce ist – hinweg durch alle Geldkreise – einfach das Statement von Stil, Kraft und Geschmack. Damals wie heute.
So dürften die ersten Kaufentscheidungen für Sammlungen und Selbstfahrer gefallen sein, als Rolls-Royce 2006 das “Experimental Car” 101EX präsentierte. Ein in Handarbeit entstandenes Automobil, das eine neue Design-Richtung für ein Coupé im Luxus-Segment zeigen sollte. Im Sommer 2008 begann schließlich die Serienproduktion. Das Phantom Coupé komplettierte die aus den Modellen Phantom, Phantom Extended Wheelbase und Phantom Drophead Coupé bestehende Phantom-Baureihe.
Es dürfte schwierig sein, ein Coupé sexier, stilvoller, ansprechender und edler zu verpacken, als es Rolls-Royce mit diesem Phantom gelungen ist. Da ist die endlos lange Motorhaube aus gebürstetem Edelstahl, die beim Blick vom Fahrersitz ein opulentes Gefühl des Reisens vermittelt. Da sind die großen Räder, die keine Fragen mehr offenlassen. Ein kurzer Überhang vorn, ein langer Überhang hinten. Und da ist die klassische Seitenlinie, neben der sogar Sharons Stones legendäre lange Beine der frühen 1990er Jahre verblassen.
An der Front gefallen die schlanken LED-Standleuchten und die großen, runden Scheinwerfer. Es folgt die lange Motorhaube und die Seite mit den hinten angeschlagenen Türen. Die “Coach Doors” vermitteln nicht nur das Gefühl eines besonderen, sondern auch eines bequemeren Ein- und Aussteigens. Geschlossen wird per Knopfdruck.
Das yachtähnliche Heck birgt eine Überraschung. Die geteilte Kofferraumklappe, der Picknick-Tisch, ist ein interessantes Element. Ausgebreitet können darauf zwei Personen nebeneinander sitzen. Wie soll man als Autor beginnen, das Interieur zu beschreiben, wo soll man aufhören? Sobald Sie die Türen öffnen und dem Innenraum begegnen, offenbart sich purer Luxus.
Das luxuriöse, von Hand mit feinen Materialien gefertigte Interieur bietet alles. Fahrer und Passagiere kommen ausschließlich mit Leder, Holz und Chrom in Berührung. In Anlehnung an die Klassiker-Modelle ist die Armaturentafel aufs Wesentliche reduziert. Es gibt sogar eine analoge Uhr, die einen modernen Bildschirm versteckt und diesen erst auf Knopfdruck freigibt.
Die Hebel zur Bedienung im Mittelbereich haben die Form von Violinschlüsseln. 15 Lautsprecher, ein Verstärker und zwei Subwoofer sorgen für einen der am besten erhältlichen Klänge in einem Automobil. iPhone und iPod lassen sich problemlos anschließen oder per Bluetooth koppeln. Emily, Spirit of Ecstasy und geflügelte Kühlerfigur, lässt sich auf Knopfdruck ausfahren sowie auf anderem Wege schützend versenken.
Absolutes Highlight im Innenraum ist ein Sternenhimmel. Ja, Sie lesen richtig. Hunderte von winzigen Lichtwellenleitern vermitteln den Eindruck eines sternenklaren Nachthimmels, wenn Sie bei eingeschalteter Option den Blick nach oben richten. Besonders bei Fahrten im Dunkeln lassen Sie mit dem “Starlight Headliner” jede Beifahrerin zwischen Copacabana und St. Tropez dahin schmelzen.
Die Sitzposition als Fahrer ist hoch. Diese Stellung verbessert die Sicht und gibt einem dieses erhabene, besondere Gefühl, einen Rolls-Royce zu steuern. Wenn Sie den 6,75 Liter V12 Motor mit 453 PS starten, hören Sie – gar nichts. Sind alle Fenster verschlossen, herrscht im Innenraum eine andächtige Stille, abgeschottet von allen im Normalbereich liegenden Außengeräuschen.
Das Coupé ist lang (5,609 Meter) und breit (1,987 Meter), der Radstand ist mit 3,320 Metern größer als manch Kleinwagen. Es erfordert Erfahrung und Geschick, den Phantom durch die engen Straßen einer Stadt zu pilotieren. Hat man sich an die Ausmaße gewöhnt, wird das Fahrzeug gekonnt und bei Bedarf auch flink im fließenden Verkehr bewegt.
Doch was soll der Rolls-Royce-Besitzer in einer gewöhnlichen Großstadt, wenn er nicht gerade ins Luxushotel eincheckt oder einen wichtigen Termin hat? Dieses Automobil verlangt nach Ausfahrten auf Landstraßen, in Bergpassagen, an Wasserrouten entlang und nach Schnellstraßen, auf dem Weg zum Wochenend-Chalet. Es möchte gefahren werden und rollen. Für das Warten an Ampeln und dem Suchen nach geeigneten Stellplätzen gibt es andere, wendigere Automobile zur reinen Benutzung.
In Freiheit entfaltet das Phantom Coupé seinen ausgeprägten Fahrcharakter. Schnell, komfortabel und überaus agil reisen Fahrer und Passagiere. Auf Wunsch geht es so sportlich zu, wie man es von keinem Rolls-Royce erwartet. Die Beschleunigung ist extrem souverän und zugleich spektakulär. Als gäbe es keinen Luftwiderstand, werden die 2.590 Kilogramm (!) aus dem Stand in 5,6 Sekunden auf 100 km/h gedrückt.
Der massige V12 mit seinen 720 Newtonmetern liefert in jedem Drehzahlbereich genügend Reserven. Selbst bei 160 km/h zeigt das Instrument für die Leistungsreserve an, dass noch 90 Prozent der Motorleistung ungenutzt sind. Bei höheren Geschwindigkeiten braucht das Auto eine etwas härtere, konzentrierte Hand, damit die Edelmasse im Zaum gehalten wird.
So beschleunigt das Luxus-Gefährt bis auf abgeregelte 250 km/h. Es ist ein herrliches Gefühl, mit dem schweren, langen und pompösen Sportgerät richtig schnell zu fahren. Über den Verbrauch – und Geld – redet man in diesen Kreisen öffentlich sowieso nicht. Das Rolls-Royce Phantom Coupé hat eine klare Fahrerorientierung, eine unglaublich starke Beschleunigung und schmeichelt Auge sowie Gefühl.
Es ist Sportlichkeit für Selbstfahrer in der größten Dekadenz auf Rädern. Wie gut, dass die Verantwortlichen nicht einfach nur ein Hardtop auf das Cabriolet montiert haben…
Text: Jan-Christopher Sierks
Fotos: marioroman pictures
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