Tik Tak Tik Tak- Der Wecker hat noch gar nicht geklingelt, doch mich beißen die Hummeln im Hintern. Aufstehen! Ich muss ihn fahren! In die Dusche gestolpert und Frühstück reingestopft! Ich muss ihn fahren!
Schlüssel in die Hand gedrückt bekommen und per Knopfdruck flott das Dach aufgemacht. Das schafft er in nur neun Sekunden- zur Not auch während der Fahrt bis 50 km/h. Respekt !!! Da steht er nun: Der neue Porsche Boxster S- und es war Liebe auf den ersten Blick.
Design: Mini Carrera GT
Wer zweifelt, möge sich dieses Prachtstück doch mal genauer anschauen. Die senkrecht verlaufenden Scheinwerfer kapseln ihn optisch deutlich vom 911er ab. Die Windschutzscheibe wurde zwar 100 mm weiter nach vorn gesetzt, aber geht auch flacher gen Fahrer und Beifahrer.
Zwei geschickt gesetzte Seitenlinien führen zu den groß angesetzten Lufteinlässen am hinteren Kotflügel, die deutlich markanter als beim Vorgänger in Szene gesetzt wurden. Aus den Radkästen des 13 mm tieferen Boxsters lugen dicke 20 Zoll Walzen heraus. Die sind natürlich nicht serienmäßig sondern nur optional erhältlich, wie so vieles im Aufpreiskatalog.
Am Heck geht der Blick sofort in Richtung der effektvoll in Szene gesetzten Abrisskante. Sie geht auf beiden Seiten fließend bis in die LED Rücklichter rein. Für einen sauberen Abschluss sorgen das mittig platzierte Doppelendrohr und der in voller Wagenbreite angesetzte Diffusor.
Das Interieur passt sich der neuen Designform von Panamera und dem neuen 911 an, welches wiederum auf die ansteigende Mittelkonsole des Carrera GT beruht. Dadurch ermöglicht es dem Fahrer eine deutlich bessere Schalthebelposition, ohne, dass die Übersichtlichkeit der Bedienelemente gelitten hätte.
Im Gegenteil: Die Positionierung und Bedienung der Multimediaelemente und das dazugehörige Touchscreen darf als vorbildlich betrachtet werden. Für ausreichend Stauraum sorgen die beiden Kofferräume vorn und hinten. Einen Blick auf den Motor wird dem Fahrer nicht gegönnt – allenfalls ist es ihm erlaubt, Wischwasser und Ölstand zu kontrollieren.
Wenn man sich den neuen Boxster anschaut, stellt man sich die Frage, welches Fahrzeug für die Porsche Designer den größeren Fun-Faktor gebracht hat. Die ewig gleiche Silhouette des 911er zur Perfektion zu bringen oder dem neuen Boxster mit viel mehr Handlungsfreiheit zu gestalten. Insgesamt wirkt der neue Boxster S wie der kleine Bruder des Carrera GT. Ganz ehrlich, der neue Mittelmotorsportler aus Zuffenhausen ist für mich die gelungenere Variante.
Fahren: Frech grinsend in die Kurve!
Ich muss ihn fahren! Hereinfallen lassen in die gemütlichen Ledersportsitze. Zündung standesgemäß auf der linken Seite umdrehen. Starten-Vollgas-Grinsen! Hinter mir faucht der 3,4 Liter große Sechszylindermotor laut auf. Musiziert wird standesgemäß über die zweiflutige mittig platzierte Sportabgasanlage. In nur 5,1 Sekunden steht die Temponadel bei 100 und wandert bei Bedarf bis zur Höchstgeschwindigkeit von 300 – nee sorry 279 km/h. So ein Mist aber auch!
Ein paar Kilometer cruisen wir entspannt und erstaunlich komfortabel gefedert an der französischen Côte d’Azur entlang – grüßen P Didddy, Flavio und nett gekleidete Bikinigirls am Strand von Saint Tropez, mit wildem Gebell aus dem Heck. Nett, aber irgendwie nicht spannend genug. Also weg von der Küste und ab in die Berge. Ein kleiner Knopfdruck auf die Taste „Sport“ und die Sinne des Porsche sind geschärft. Wer dazu noch das Sport Chrono Paket geordert hat, noch die Sport+ Taste parat, mit der es auf querdynamische Sightseeing-Tour geht. Die Gasannahme ist nun giftiger, die Dämpfung straffer und der Auspuff röhrt sich fleißig in die Gehörgänge. Ebenfalls optional ist ein Siebengang PDK Getriebe erhältlich. Wir verzichten dankend darauf und belassen es traditionell beim manuellen Sechsganggetriebe.
Der Schaltknauf liegt gut in der Hand und die Gänge flutschen wie von Geisterhand durch die Schaltkulissen. Mit Vollgas geht es mit 360 Newtonmetern auf der Hinterachse in die erste Haarnadelkurve- zack – hart runterbremsen – erster Gang – raus aus dem Scheitelpunkt. Erst bei Tempo 80 (!!!) schalte ich in den zweiten Gang- für die engen Passagen brauche ich im Grunde genommen nicht mehr als drei Gänge. Himmel, Herr Gott ist das geil!!!
Dabei liegt der Boxster S satt auf der Straße und hat dank des um 60 Millimeter verlängerten Radstands echte Manieren bekommen. Agil und ohne jegliches untersteuern lässt sich der Porsche flott ums Eck bringen, die hinterlistigen Heckschwenks des Vorgängers wurde der Garaus gemacht. Stattdessen giert der Mittelmotorsportler nach Traktion und lässt sich nur bei harter Gangart zu einem Heckschwenk motivieren. Etwas gelitten hat die Feinfühligkeit der alten Lenkung, die nun durch eine elektromechanische ersetzt wurde.
Auch bei komplett ausgeschalteter Elektronik haftet der Boxster S wie Patex auf dem Boden. Wiedermal ein Zeichen dafür, dass die Stuttgarter Fahrwerksingenieure ihr Geschäft verstehen. Im Übrigen wurde damit mal eben die 8 Minuten Marken auf der Nordschleife geknackt. In nur 07:58 fliegt die Zuffenhausener Flunder um die Grüne Hölle und deklassiert den Vorgänger mal eben um satte 12 Sekunden.
Man spürt es auf jedem einzelnen Meter. Der Boxster S hat Renngene im Blut. Gene, die ihm und seinem Cayman Bruder, dessen Nachfolger Ende des Jahres angesetzt ist, wohl verwehrt bleiben werden. Nicht nur, dass ihm die Leistung aus Rücksicht zum Prestigeporsche – dem 911 – gedrosselt wird, nein, einen Renneinsatz schließt Porsche bis heute aus. Dabei ist es doch gerade der Boxster, der auf die historischen Renngeschichten á la 550 Spyder zurückgreifen kann. Irgendwie schade …
Fazit: Was für ein scharfes Gerät! Porsche hat sich mit dem neuen Boxster S wieder selbst übertroffen und bringt einen messerscharfen Roadster mit viel Emotion auf die Räder. Da geht es durchaus klar, dass der Basis Elfer sich nach und nach vom Sportwagen Gedanken in Richtung Business GT verabschiedet. Die emotionale Sparte darf nun der Boxster übernehmen und das tut er mit Bravour.
Technische Daten Porsche Boxster S (981)
Antriebsart: Heckantrieb | Hubraum: 3.436 cm³ | Leistung: 232 kW (315 PS) bei 6.700 U/min | Drehmoment: 360 Nm bei 4.500- 5.800 U/min | Vmax: 279 km/h | CO? Emission g/km: 206 (EU5) | Beschleunigung 0–100 km/H: 5,1 s | Durchschnittsverbrauch: 8,8 l/100 km | Gewicht: 1.320 kg | Preis: ab 59.120,00 EUR inkl. MwSt.
credits
Text: Mario-Roman Lambrecht
Fotos: Mario-Roman Lambrecht