Mein erster Auftritt in einem Countach war Ende der 80er Jahre kein besonders glücklicher. Lamborghini hatte mir in Sant’Agata einen LP5000S QV zur Verfügung gestellt, der damalige Presse-Verantwortliche, die Rallye-Legende Sandro Munari, hatte mir den Wagen noch kurz erklärt, dann den Schlüssel in die Hand gedrückt, viel Vergnügen gewünscht. Trotz der fiesesten Kupplung der Welt kam ich noch recht gut vom Platz, doch vorne, an der Ausfahrt vom Werksgelände auf die Hauptstrasse, da bockte das Vieh beim ersten Versuch. Und den zweiten Versuch ging ich dann so forsch an, dass sich die Kiste gleich drehte, ich anstatt 90 dann 180 Grad abbog. Also quasi wieder zurückfuhr. Worüber ich mich in der Folge derart grämte, dass ich die nächsten Stunden gar nicht mehr so richtig geniessen konnte. Furchtbaren Respekt hatte vor diesem Wagen. Wohl langsamer über die Landstrassen der Emilia Romagna schlich als in einem Fiat Panda.
Der LP5000S QV, was für quattro valvole, vier Ventile steht, war die vierte und eigentlich endgültige Ausbaustufe des Countach. Der Grossvater, der LP400, war zwischen 1973/74 und 1977 gebaut worden, wahrscheinlich 157 Stück, es folgte der 1978 der LP400S (zu einem etwas eigenartigen Zeitpunkt, denn Lamborghini war ab 1977 faktisch bankrott). Der verfügte über ein verbessertes Fahrwerk, der wieder zu Lamborghini zurückgekehrte Gian Paolo Dallara hatte die ganze Geometrie überarbeitet und dem Countach 15-Zöller verpasst. Weil in den USA die Abgasvorschriften strenger geworden waren, war der S nicht stärker, sondern musste mit 353 PS auskommen. Und ausserdem verliess er optisch die reine Lehre, er erhielt einen Fronstpoiler, die eckigen Radläufe und, als Option, einen gewaltigen Heckspoiler. Der LP400S war zwar nicht mehr so böse wie der LP400, doch er sah richtig, richtig grob aus. Wohl deshalb verkaufte er sich besser als sein Vorgänger, bis 1982 wurden 240 Exemplare hergestellt.
Es folgte der LP5000S, endlich wurde der V12 vergrössert (was ja schon von Anfang an geplant gewesen war); hinter diesen Verbesserungen stand Giulio Alfieri, der bei Maserati berühmt gewordene Motoren-Papst. Der Hubraum betrug nun 4754 cm3, die Leistung lag wieder bei 375 PS, das maximale Drehmoment lag nun bei 409 Nm bei 4500/min. Aber der LP5000S war nicht schneller als das Ur-Modell, die beste gemessene Sprint-Zeit für den Spurt von 0 auf 100 km/h lag bei 5,6 Sekunden, dafür bremste er dank grösserer Scheiben besser. Auch innen wurde der Countach deutlich verbessert, er erhielt anständige Sitze.
Als letzte und höchste Evolutionsstufe kam 1985 der Quattrovalvole. Der Hub wurde noch einmal verlängert, der Hubraum betrug nun 5167 cm3, die Leistung stieg auf 445 PS bei 7000/min, das maximale Drehmoment betrug 500 Nm bei 5100/min. Damit schaffte der QV den Sprint in 5,1 Sekunden, als Höchstgeschwindigkeit schaffte er echte 290 km/h. Zu erkennen war der LP5000S QV an der Motorhaube aus Carbon, die über dem Vergaser eine gewaltige Ausbuchtung hatte, die dem Piloten endgültig die Sicht nach hinten raubte. Und dann waren noch die Reifen, 345/35 ZR 15, das war das gröbste serienmässige Geschütz in jenen Jahren.
Einen gab es noch, den «Anniversary», der 1988 zum 25. Geburtstag der Marke Lamborghini aufgelegt wurde. Schöner war der sicher nicht, es gab diverse Anbauteile (immerhin aus Kohlefaser, damit hat Lamborghini schon lange vor der Audi-Zeit experimentiert), die kantigen Stossfänger waren kein optischer Genuss. Und technisch zeigte der «Anniversary» auch keinerlei Fortschritte mehr. Aber er sollte trotzdem in nur zwei Jahren zum meistverkauften Countach überhaupt werden, 657 Stück wurden abgesetzt, also noch einmal eine Steigerung, der LP5000S QV hatte es auf 631 gebracht, vom LP5000S waren es gar nur 321 gewesen.
Wir hatten kürzlich das Vergnügen, nach mehr als 20 Jahren wieder einmal einen Countach zu fahren. Und es war, um den Kreis rund zu machen, wieder ein LP5000S QV, mit Jahrgang X, ein Fahrzeug, das die Oldtimergalerie Toffen am X in Zürich zur Versteigerung bringt (weitere Infos unter: www.oldtimergalerie.ch). Eigentlich waren wir ja gekommen, um mit einem ebenfalls im Angebot stehenden Jarama eine Runde zu drehen, aber dann stand halt auch noch Countach da, rot, mit weissem Interieur, und da konnten wir der Versuchung selbstverständlich nicht widerstehen. Obwohl, also so von aussen, da sieht man dem Lambo seine Jahre schon an, der riesige Heckflügel, die im Vergleich zu heutigen Supersportwagen winzigen 15-Zoll-Räder, das sind schon Boten aus einer anderen Zeit.
Ich erinnerte mich an einst: Vollgas. Sonst springt das Ding nicht an. Und obwohl man ja gefasst ist, dass es da 12 Zylinder wohl ziemlich lautstark zum Leben erwachen werden, ist die Überraschung dann doch gross, mit wie viel Verve der 5,2-Liter sich in Betrieb hustet. Und so nah am Ohr, man hat das Gefühl, die 48 Ventile führen ihren Tanz direkt auf dem Trommelfell auf. Zum Glück ist der Countach so parkiert, dass wir vorwärts losfahren können, die coole Nummer, bei nach oben geklappter Scherentür auf dem Seitenschweller sitzend rückwärts zu manövrieren, die sieht wohl nur bei italienischen Testfahrern gut aus, wir Normalsterblichen würden uns nur lächerlich machen.
Ich erinnerte mich auch daran, dass die Kupplung im Countach mehr so ein Gerät ist, das in einen Kraftraum gehört, aber ich hatte vergessen, dass auch der Weg unglaublich lang ist. Und auch die Wege zwischen den Gängen sind lang, doch da hilft die offene Kulisse, man spürt es nicht nur, man sieht es auch, ob der Gang drin ist. Und mein Gott, ist die Lenkung schwergängig: null Servo (gab es beim Countach nie), ein winziges Lenkrad, diese breiten Schlappen vorne, das langsame Manövrieren ersetzt eine Stunde Fitnesstraining.
Doch dann, als die Strasse so ein bisschen freier ist und die Drehzahl auch einmal über 2000/min gehen darf, dann kommt tatsächlich so etwas wie Fahrfreude auf. Man hat zwar das Gefühl, dass der Hintern durch die dünnen Sitzschalen jederzeit auf dem Asphalt aufschlagen könnte, Übersichtlichkeit ist ein komplettes Fremdwort für dieses Fahrzeug, und weil man weiss, wie breit der Countach ist, tendiert man eher zur linken Seite der Strasse. Aber der Sound ist halt: gut. Nein: grossartig. Ab 4000/min brüllt der Zwölfzylinder ziemlich ungehemmt, laut, richtig laut, es gibt dazu noch jede Menge weiterer, nicht genau definierbarer Geräusche – es ist ein gesamtheitliches Klangerlebnis, weil das Ding nicht nur tönt, sondern auch schüttelt und vibriert.
Aber er geht gut. Agil ist anders. Und der Hammer sind 445 PS auf wohl etwa 1,5 Tonnen heute nicht mehr, auch der Drehmomentverlauf ist nicht unbedingt das, was man als linear bezeichnen möchte oder gar schon tief im Keller vorrätig, da geht heute jedes zweite Premium-SUV wohl gröber ab, doch es ist dieses Zusammenspiel zwischen edlen Fahrleistungen, harter Arbeit mit Füssen und Händen, Klang und sonstigen Emotionen, das dem Countach so einmalig macht. Alles an diesem Auto ist extrem – und genau deshalb ist es auch «kuntatsch.».
Text: Peter Ruch
Fotos: Radical Classics
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