Wenn der Piemontese eine, schreiben wir einmal: begehrenswerte Frau sieht, dann murmelt er: «kuntatsch». Wie das genau geschrieben wird, das weiss niemand so recht, doch die Legende sagt, dass Nuccio Bertone eben dieses «kuntatsch» sagte, als er den ersten Entwurf für das Projekt 112 sah, den sein Lieblingsdesigner, Marcello Gandini, für ein neues Lamborghini-Modell gezeichnet hatte. Und ja, man darf das ganz derb verstehen, so ist es auch in etwa gemeint, in der deutschen Sprache wäre die passende Übersetzung wahrscheinlich: «geil». Und eben: «kuntatsch», nix «kauntätsch» oder so.
Man schrieb wohl etwa das Jahr 1970, als sich Paolo Stanzani, der das Amt des Lamborghini-Chefingenieurs 1968 von Gian Paolo Dallara übernommen hatte, erstmals Gedanken machte über einen potenziellen Nachfolger des Miura. Das Konzept des Mittelmotors wollte er beibehalten, doch er plante, den Motor längs anstatt quer einzubauen. «longitudinale posteriore» hiess das dann, hinten längs, LP, eine Bezeichnung, die sich bis heute bei Lamborghini gehalten hat.
Und weil Bertone, sprich: Gandini beim Miura und Espada so gute Arbeit geleistet hatten, war für Stanzani auch klar, wer sich am Design versuchen sollte. Ob es nun Lamborghini war oder Gandini selber, die für das neue Technik-Package schon eine klare Idee im Kopf hatten, das wird sich nie mehr feststellen lassen, doch sicher ist: das Design des 1968 vorgestellten Alfa Romeo Carabo, das passte ausgezeichnet zum geplanten neuen Modell, auch deshalb, weil es sich mit seiner sehr eckigen Keilform extrem von den wunderbaren Rundungen des Miura unterschied.
Gandini zeichnete also, Nuccio Bertone sah den Entwurf und rief «kuntatsch», und auch Stanzani sowie Ferruccio Lamborghini sollen auf Anhieb begeistert gewesen sein. Schon im März 1971 stand auf dem Genfer Auto Salon ein knallgelb lackierter Prototyp – und das staunende Publikum hatte das Gefühl, es sei ein Raumschiff gelandet. Noch nie hatte die Auto-Welt ein solches Fahrzeug gesehen, ein Faustschlag gegen die Sehgewohnheiten, absolute Aggresivität, brutale Funktionalität – unendliches Charisma. Dieser erste Entwurf, genannt LP500, war frei von Spoilern, Schwellern und sonstigen Wucherungen, der geniale Entwurf war pure Geometrie. Der Motor stammte aus dem Miura, doch der Hubraum war von 3929 auf 4971 cm3 gewachsen, die Leistung betrug 440 PS. (Leider wurde der LP500 von der englischen Motor Industry Research Association (MIRA) bei Testfahrten komplett zerstört.)
1971 war ein gutes Jahr für Ferruccio Lamborghini, und er gedachte das Fahrzeug mit dem Namen Countach für ein paar ausgesuchte Kunden zu bauen; das hatte er ja einst schon vom Miura gedacht, und der sollte einer der grössten Erfolge für die damals noch nicht einmal zehn Jahre alte Marke werden. Doch es kam alles anders: Lamborghini geriet ins Stolpern, es gab einige Streiks im Werk, es kam die Ölkrise, und 1972 verkaufte Ferruccio die Traktorensparte an die Same Group und holte sich für die Sportwagen die Investoren Georges-Henri Rossetti sowie René Leimer an Bord. Es beginnt eine sehr hektische Zeit, im Mai 1972 gaben Rossetti/Leimer grünes Licht für den Bau des Countach, aber es war kein Geld da, den 5-Liter-V12 weiter zu entwickeln, also wurde der bekannte 3,9-Liter verbaut. Der immerhin wurde verbessert, je drei seitliche montierte Weber-Doppelvergaser fütterten den Kurzhuber, der jetzt 375 PS leistete und ein maximales Drehmoment von 361 Nm bei 5000/min schaffte. Und leider wurde auch an der unsterblichen Gandini-Form gebastelt, für die Belüftung und Kühlung wurden riesige, kastenförmige Lufteinlässe auf die hinteren Kotflügel gebaut.
Der LP400 war bei seiner Vorstellung auf dem Genfer Salon 1973 (das erste Kundenauto wurde allerdings erst am 11. April 1974 ausgeliefert) 4,14 Meter lang, 1,99 Meter breit und nur 1,07 Meter hoch; der Radstand betrug 2,45 Meter. Er rollte auf 14-Zöllern – heute unvorstellbar. Gebremst wurde über innenbelüftete Girling-Scheibenbremsen mit Leichtmetall-Sätteln. Dreieckquerlenker und Federbeine führten alle vier Räder, die Koni-Stossdämpfer waren verstellbar. Das Gerüst bildete ein Gitterrohr-Rahmen mit zusätzlichen Überrollbügeln für das Cockpit, die Karosserie, die trotz Bertone-Entwurf in Sant’Agata hergestellt wurde, bestand aus aufgenieteten, nur gerade einem Millimeter dicken Leichtmetall-Blechen. Eine Wanne aus Glasfaser bildete den Boden, die Ölwanne und die Ventildeckel des V12 bestanden aus Magnesium, genau wie das Kupplungsgehäuse – die von Fichtel & Sachs geliefert wurde, ein Rennsport-Teil – und das Getriebegehäuse. Letzteres wurde wie Karosse inhouse gebaut, 5 Gänge, zu besseren Gewichtsverteilung vor dem Motor eingebaut. Die Kraft floss dann über eine Welle, die mitten durch die Ölwanne lief, zu einem Sperrdiff von ZF. Apropos Kraft: die Kupplung ist ein Vieh, sie muss voll getreten werden. Und die Lenkung musste bis zum Ende der Produktionszeit des Countach ohne die geringste Servounterstützung auskommen,
Aber das Ding ging wie. Obwohl doch 1,4 Tonnen schwer, schaffte der Countach LP400 den Sprint von 0 auf 100 km/h in 5,5 Sekunden. Als Höchstgeschwindigkeit wurden in der zeitgenössischen Literatur Werte bis 298 km/h genannt, obwohl, über 270 km/h wurde das Ding ein wenig gefährlich. Doch die Landstrasse war sein Ding, es liess sich willig mit dem Gas lenken – sofern der Pilot jede Menge cojones hatte. Denn Lastwechsel quittierte der Lamborghini gern und vor allem schnell und vor allem auch sehr überraschend mit Drehern; noch manch ein LP400 endete nicht dort, wo sein Fahrer hin wollte.
Was auch an der Sitzposition gelegen haben könnte – die schmalen Schalensitzchen waren nicht nur unbequem, sondern mehr Liegen als Sitze. Die Sicht nach aussen war eine reine Katastrophe, man hatte wirklich keine Ahnung, wo das Auto begann, wo es endete. Gandini hatte eigentlich einen periskopischen Rückspiegel einbauen wollen, doch der war zu teuer; davon blieb bis 1981 eine kantige Einkerbung im Dach übrig. Noch ein kleines Detail war anders als von Gandini angedacht: die Scheibenwischer. Die lagen gross und fett auf den Scheiben, störten das Gesamtbild, und dies ganz einfach deshalb, weil der Designer sie vergessen hatte.
Und nein, der Countach war kein Automobil, mit dem Mann seine Liebste ausfahren wollte. Denn da waren zuerst einmal die Scherentüren, die sich nach vorne oben öffneten, aber halt doch keine einigermassen bequem Zustieg zuliessen – am besten setzte man sich auf den sehr, sehr breiten Seitenschweller, und liess sich dann in den Sitz plumpsen. Und das sieht so etwa bei 105 Prozent der Menschheit ziemlich unelegant aus, und lady-like, das ist sowieso ganz anders. Ausserdem trennte ein sehr, sehr breiter Mitteltunnel die Passagiere. Die horizontal geteilten Seitenscheiben liessen sich nur teilweise öffnen (deshalb war wohl die Klimaanlage serienmässig), und eben, man sah nichts, die Türkante befand sich so ungefähr auf Augenhöhe.
Und dann war da noch der Lärm, der brachiale Sound, der beiden Passagiere ziemlich genau auf Ohrenhöhe voll reinknallte. Schon im Leerlauf war der Countach LP400 laut, so laut wie vorher und nachher nie wieder ein Lambo. Es war aber nicht nur der Motor, sondern das ganze Auto schien Lärm zu machen, das Mahlen des Getriebes, das Ansaugen der Luft.
Vom Countach LP400 wurden bis Ende 1977 nur 150 Stück gebaut. Vielleicht auch 157, eventuell sogar 160. Diese frühen Countach, von Kennern auch «periscopo» genannt (obwohl sie ja nie eines hatten), kommen heute nur noch selten in den Handel. Zuletzt wurden 2010 für einen 75er auf einer Auktion in London 196’000 Pfund bezahlt.
Wir durften einen Countach LP5000S QV fahren. Den Fahrbericht sowie die weiteren Entwicklungen im Leben des Countach finden Sie im zweiten Teil unserer Geschichte.
Text: Peter Ruch
Fotos: Radical-Classics