«Sport» muss es schon sein, denn «Strada» ist irgendwie, und «Corsa» ist zu grob. Dann eine kleine Unterführung, ca. 60 km/h, ein Zug am linken Paddel, zweiter Gang, etwa 4000/min, und das ist die Musik, die man hören will. Kurzer Zwischengas-Stoss, Trompeten, Fanfaren, Halleluja, und dann voll drauftreten. Sofort hängt er ein, der Aventador, er krallt sich am Asphalt fest, will ihn aufreissen, schiesst nach vorne, 120, dritter Gang, 180, vierter, und dann bist Du im Himmel. Oder im Gefängnis. Egal, es macht süchtig, man muss es immer wieder tun, bei jedem Ortsausgang, und es ist immer wieder Hühnerhaut, das Trommelfell, das ja ganz nah am Hirn hockt, lechzt danach, es will befriedigt sein, es braucht dieses Orchester aus 700 PS und 12 Zylindern und 6,5 Liter Hubraum. Es ist: wunderbar.
Und es ist halt noch wunderbarer, weil der Aventador, den wir fahren, oben offen ist, ein Roadster. Es gibt jene, die sitzen gerne in sauber vernieteten Blechbüchsen, keine Ahnung, warum, weil es intimer ist, vielleicht so ein bisschen stabiler, auch weniger umständlich, denn der Dachaufundabbau gerade beim italienischen Roadster gehört jetzt nicht zu den Dingen, die man sich immer wieder antun will. Ich persönlich bin dafür, dass alle «anständigen» Autos offen sein müssten – das Erlebnis ist einfach unmittelbarer, intensiver, lebendiger. Schöner. Besser. Es mag zwar heute möglich sein, irgendwelche Sound-Maschinen einzubauen, die dann die Geräuschkulisse in HiFi-Qualität direkt ans Ohr der Insassen bringen, in Konzerthallen-Qualität, perfekt dosiert, doch das hat etwas so viel mit dem richtigen Leben zu tun wie eine Rentner-Kreuzfahrt auf dem Rhein. Erst, wenn sich der V12-Lärm durchmischt mit dem Geräusch von über die Felder brummenden Traktoren, dem Gezwitscher von Vögeln, dem Hupen des Busfahrers, dem man gerade den Weg abgeschnitten hat, dem Duft vom frischem Gras und alten Kuhfladen, von heissem Asphalt und Gummiabrieb auf ebendiesem, von eigenem Achsel- sowie dem Angstschweiss der Beifahrerin, mit dem Bild von vorbeifliegenden Bauernhöfen und davonstürmenden Schafen und verdutzten Fahrradfahrern, irgendwo ein Regenbogen oder nur die gleissende Sonne, Schatten, Bäume, Kurven, Geraden, Tankstellen – erst dann ist der Ball rund. Die Erfahrung: ganzheitlich.
Wir empfinden so etwas wie: Demut. Der Mensch hat sich die Natur Untertan gemacht, er beherrscht sie, beutet sie aus. Im offenen Lamborghini kommt aber etwas zurück, man ist zwar abgehoben, eingebettet in Karbon und Leder, umschlossen von Technik in ihrer schönsten Form, und doch. Wahrscheinlich weiss man die kleinen Dinge des Lebens wieder besser zu schätzen, nachdem man das Vergnügen hatte mit 1,6 Tonnen reiner Ingenieurskunst, denn es sitzt eine ganz ungewöhnliche, nicht erklärbare Kraft, Macht in dieser Maschine. Wir haben da so etwas wie eine Tradition bei unseren Ausflügen nach Sant’Agata: bevor wir die Lamborghini jeweils wieder zurückbringen, trinken wir in immer der gleichen Bar am Strassenrand noch einen Espresso. Sitzen ein bisschen, rauchen eine Zigarette oder drei, betrachten den Wagen, der direkt vor unserem Tischchen steht, hören ihm zu, schauen ihn an. Nach der Ausfahrt im Aventador Roadster sassen wir länger als sonst, waren ruhiger, entspannter – glücklich.
Ach, der Aventador. Er ist unter den derzeit für Geld erwerblichen Supersportwagen, die auch tatsächlich in Serie gebaut werden, das wohl wahnsinnigste Gerät. Ja, ein Bugatti hat mehr Pferdchen, aber die Konstruktion des Veyron stammt noch aus dem letzten Jahrtausend. Die Ferrari sind ganz anders, der neue Pagani ist unter den Exoten ein extremer Exot, die bescheuerten Engländer kennen wir nicht, ob es Koenigsegg wirklich gibt, wissen wir nicht. Der Lambo aber ist 2,03 Meter breit, ohne Aussenspiegel, und 1,14 Meter hoch, und seine Linien sind derart zugespitzt, geschärft wie bei keinem anderen Fahrzeug – dagegen sehen alle anderen aus wie eine Aldi-Flasche Nasenwasser. Als Roadster kommt diese Wucht irgendwie noch besser zur Geltung, der Blick verweilt noch länger auf den Details – es könnte dies aber auch mit der Farbe unseres Testwagens zu tun haben, diese schillernde Orange ist wild, frech, passend.
Und man sieht noch besser in den Innenraum. Wir hatten das Vergnügen mit einer ganz neuen Ausführung zum 50-Jahre-Jubiläum von Lamborghini, eine Kombi von Rot und Schwarz, die einfach nur gut ist (es gibt zudem, ganz neu, noch eine limitierte Sonderserie zum Geburtstag, die hat dann 720 PS, aber die gibt es vorerst nur für das Coupé). Es gab ja auch schon Produkte aus Sant’Agata, die wirkten innen etwas, hmm, too much, zu sehr bling-bling, doch es geht auch zurückhaltender, und dem ist bestens so. Sitze: keine Klagen, das muss eng sein wie ein Schraubstock. Ergonomie: pff, wen interessiert das schon in einem solchen Gerät, die wesentlichen Dinge sind da, wo sie sein müssen, die Heizung braucht man nicht zu bedienen, wenn einem sowieso schon warm ist ums Herz. Und wieder, diese wunderbaren Details, der Start-Knopf zum Beispiel, der sich unter einer feuerroten Klappe versteckt.
Auch die Dach-Konstruktion ist bedeutend gelungener als das Stoff-Fitzelchen beim Murciélago, es braucht für die zwei aus Karbon gefertigten Teile zwar sicher ein paar Handgriffe mehr als bei einem Audi oder Mercedes, aber den Roadster fährt man gefälligst sowieso nur dann, wenn die Sonne scheint. Kleines Problem: Kofferraum ist dann nicht mehr, die beiden Dachhälften fressen alles auf, was da mal gewesen ist. Doch die goldene Kreditkarte trägt man ja sowieso im Portemonnaie. Vorteil des neuen Dachs: man darf jetzt geschlossen mehr als 160 km/h fahren (bei diesem Tempo hat es beim Murciélago das Stoffdach in Fetzen gehauen), es gehen jetzt 350 km/h. Und offen wahrscheinlich auch. Ach, ja: in 3 Sekunden ist der Aventador Roadster, dank Allradantrieb, der die urige Kraft tatsächlich auf den Boden bringt, von 0 auf 100 km/h. Ein Formel 1 ist auch nicht viel schneller, hat aber nur einen Sitzplatz.
Die Ingenieure haben dem Aventador für die Roadster-Variante aber nicht einfach bloss das Dach weggeschnitten, sie haben ihm noch jede Menge konstruktiven Aufwand mit auf den Weg gegeben. Sprich: noch mehr Karbon verbaut. Der offene Aventador ist mindestens so steif wie das 30’000 Euro günstigere Coupé, nichts klappert oder verwindet sich, auch wenn man ihn über die nicht immer feinen italienischen Landstrassen prügelt. Das ist ganz hohe Schule, doch das darf man von Lamborghini auch erwarten. Für den Roadster wurde auch der Motor überarbeitet, er erhielt eine Stopp/Start-Automatik, und wir sind jetzt nicht ganz sicher, ob die zum Lambo passt. Denn wenn man dann am Rotlicht steht, der Motor geht aus, dann klaut man sich selber und auch den interessierten Betrachtern am Strassenrand das Vergnügen des V12-Sounds. Und manch einer denkt wohl, pah, abgewürgt, Anfänger. Aber dafür liegt der Normverbrauch jetzt bei 16 Litern. Das sieht und hört der interessierte Betrachter aber nicht.
Die Kraftübertragung, nun denn, es wurde schon viel über dieses automatisierte Getriebe geschrieben und gejammert, und wir könnten jetzt auch noch in diesen Kanon einstimmen. Denn die Gangwechsel sind schon hart, je nach gewähltem Modus fast schon brutal, vor allem unvorbereitete Passagiere sind dann jeweils fröhlich am Nicken. Aber wir sind im Roadster besser gelaunt als im Coupé und mögen der Lamborghini-Argumentation, dass dieses Getriebe halt leichter ist, weniger Platz braucht, grosszügiger folgen. Lamborghini sagt auch noch, das Erlebnis sei emotionaler, und wir wollen das jetzt glauben. Doch irgendwann, spätestens beim bald schon kommenden Gallardo-Nachfolger, wird auch die italienische Audi-Tochter ein Doppelkupplungsgetriebe erhalten, und das ist dann sicher kein Fehler.
480’000 Franken kostet so ein Roadster. Doch auch wer das entsprechende Spaziergeld hat, muss sich bis Anfang 2015 gedulden, Lamborghini hat derzeit nicht die Kapazität, die Bestellungen vorher zu erfüllen. Auch dies ist der Stoff, aus dem Legenden gestrickt werden – als Roadster hat der Aventador seine wahre Bestimmung gefunden.
Text: Peter Ruch
Fotos: Radical Mag
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