Lange Jahre, gar Jahrzehnte, gab es aus der Plüschetage von Citroën eine klare Weisung: Vergesst die Geschichte! Heritage, oder wohl eher l’héritage, sagten die Herren ganz oben auf französisch, damit wollen wir nichts zu tun haben. Das hatte natürlich seine Gründe, denn der Blick zurück war bei der französischen Marke nicht nur glorreich. André Citroën mochte zwar genial gewesen sein, doch er hatte auch einen üblen Drang zum Glücksspiel und auch sonst das Geld nicht so sehr im Griff. 1934 wurde Citroën ein erstes Mal übernommen, mehr oder minder freundlich durch Michelin. 1976 war die Firma ein weiteres Mal am Ende. Peugeot kaufte sich ein – und es folgten düstere Jahre. Die DS gab es seit 1975 nicht mehr, dafür kamen solche Renner wie LN, Visa, AX, BX, ZX. Am 27.7. 1990, gegen 16 Uhr, wurde auch dem 2CV der Todesstoss verpasst.
Natürlich gab es ein paar Besserwisser; die gibt es immer. Die sperrten über die Jahre immer wieder ein paar Fahrzeuge irgendwo in einen Schuppen, retteten, was es noch zu retten gab. Denn es gab da eine brutale Tradition bei Citroën, die der legendäre Patron Pierre-Jules Boulanger (1885-1950) begründet hatte: die Verschrottung der Versuchsfahrzeuge. Zum ersten Mal befahl er diese 1939, weil er nicht wollte, dass die Testwagen zum späteren 2CV den Deutschen in die Hände fielen. Besonders gründlich arbeiteten seine Vasallen aber nicht. Eine so genannte TPV («toute petite voiture») stand noch bei Michelin, eine zweite auf dem Versuchsgelände von La Ferté-Vidame – und 1994 wurden gleich drei Stück in einem der besagten Schuppen gefunden.
Ende des vergangenen Jahrtausends bewilligte einer der Citroën-Oberen immerhin einmal ein minimales Budget, damit in Aulnay-sous-Bois eine Halle freigemacht werden konnte, um die Citroën-Schätze einigermassen trocken zu lagern. 2001 wurden dann ein paar Francs mehr gesprochen, und das «Conservatoire» konnte am 28. November seine Türen öffnen. Man darf sich darunter kein richtiges Museum vorstellen wie bei Mercedes oder BMW. Dicht an dicht stehen in einem schmucklosen und charmefreien Gemäuer etwa 400 Fahrzeuge, für die Öffentlichkeit ist es nur auf Anfrage zugänglich.
Aber der Direktor Denis Huille hat jetzt immerhin einen Archivar, der die ganzen Papiere und Fotos ordnet sowie zwei, drei Mechaniker, die ihm bei der Pflege der Fahrzeuge helfen. Hin und wieder kommt ein pensionierter Mitarbeiter, der bei der Restauration eines Modells beisteht. Dennis selber ist einer dieser Wahnsinnigen: Er weiss, nein, er weiss nicht alles, aber so ein etwa 20-bändiges Citroën-Lexikon, eng bedruckt, das hat er schon im Kopf. Er selber fährt einen SM.
Damit sind wir schon mittendrin in dieser Geschichte. Vor uns steht die einzige noch existierende DS, die von Citroën mit einem 2,7-Liter-Sechszylinder-Maserati-Motor ausgestattet wurde. Es gab Ende der 60er-, Anfang der 70er-Jahre einige Exemplare mit dem Sechszylinder, sowohl 2,7- als auch 3-Liter, Vergaser und Einspritzer; Huille weiss nicht genau, wie viele. Mehr als ein Dutzend werden es gewesen sein, doch bis auf dieses Fahrzeug wurden alle zerstört.
Das gelbe Exemplar hatte Glück. Es wurde von Björn Waldegård 1972 bei den «24 heures de Chamonix», dem legendären Eisrennen, auf den zweiten Platz bewegt – dies trotz Problemen mit der Aufhängung. Oder der Elektrik. Und kam danach in eine Werkstatt. Und wurde dort vergessen. Wahrscheinlich absichtlich, von einem dieser Besserwisser.
Citroën hatte in den 60er-Jahren einige V6 und gar V8 für einen allfälligen Einsatz in der seit 1955 gebauten Modellreihe D konstruiert. Die Kundschaft hätte gern einen stärkeren Motor gehabt, doch die Franzosen scheuten die Kosten. Die Kosten für den Kauf von 60 Prozent der Aktien der notorisch vor sich hin siechenden Marke Maserati scheuten sie 1968 aber nicht. Innert nur zweier Jahre wurde zwischen Paris und Modena der SM aus dem Boden gestampft. Leider ging das alles etwas gar schnell, das «fliegende Sofa» krankte noch an so manchem, und nicht nur an Kleinigkeiten. Viel wurde spekuliert, dass der Sechszylinder des SM nur ein abgeschnittener V8 aus dem bestehenden Maserati-Programm gewesen sei, doch Maserati-Genie Alfieri hatte den Motor mit seinen vier obenliegenden Nockenwellen von Grund auf neu und ganz bewusst so konstruiert – damit er auch in den verhältnismässig niedrigen Motorraum der DS passen würde. In «Göttinnen» wurden dann auch die Versuchsfahrten der technischen Bestandteile des SM durchgeführt.
Unsere gelbe DS ist denn auch weit mehr ein SM als eine «Déesse». Das Chassis stammt komplett vom SM, was am kürzeren Radstand ersichtlich ist. Nicht nur der Motor, der für den Renneinsatz 250 PS leistete, stammt aus dem Citroën-Maserati, sondern auch die geschwindigkeitsabhängige Servolenkung (DIRA VI), die selbständig in die Mittellage zurückkehrt, sowie eine besonders aufwendige Ausführung der hydropneumatischen Federung.Gut sieht sie aus, die SM-DS. Auf den ersten Blick sieht man gar nicht, dass sie nur zwei Türen hat – und beim zweiten Blick wird man etwas traurig, weil es Citroën nie geschafft hat, das immer wieder geplante DS-Coupé zu bauen. Natürlich ist die sportliche Aufmachung der Waldegård-DS nicht gerade elegant, doch der Ansatz ist gut, besser vielleicht sogar als beim SM.
Grimmig grummelnd erwacht der Sechszylinder zum Leben. Zuerst ist einmal fröhliches Rätselraten, wie denn die Gänge sortiert werden könnten, und wir fragen uns, wie Waldegård im Rennstress den jeweils richtigen finden konnte. Die Kupplung ist zäh wie ein seit Jahren auf der Strasse klebender Kaugummi, doch nach ein paar Metern geht auch das. Hingegen ist auch der gestandene DS-Fahrer erstaunt, wie giftig die Bremsen sind. Der Bremsknopf der Modellreihe D war schon immer nur schwer einigermassen feinfühlig zu bedienen – wir knallen vor der ersten Kurve fast in die Frontscheibe. Also, eigentlich, aber lassen wir das, es ist zu peinlich. Und danach geht es dann einige Runden, bis wir uns an die unglaublich direkte Lenkung mit der extremen Servounterstützung gewöhnt haben. Ein Fahrlehrer würde wohl die Augen verdrehen, so eckig fahren wir die ersten Bögen.
Er braucht schon etwas Drehzahl, der Maserati-Motor. Sagen wir einmal: baubedingt. Doch dann zieht er mächtig ab, auch wenn wohl längst nicht mehr alle 250 Pferde ihren Dienst versehen wollen. Das Röhren ist gewöhnungsbedürftig, es passt irgendwie gar nicht so recht zur filigranen Französin.Die Michelin-Reifen namens Cora sind eine spezielle Entwicklung aus den damals aktuellen XAS, quasi die Rennversion, zusätzlich noch mit Felgen aus Kunststoff. Ja, Plastik. Die Gummis, vom Profil her noch neu, aber halt schon gut abgestanden, goutieren eine sportivere Fahrweise gar nicht, quietschen und jammern und pfeifen. Dazu kommt ein brutales Untersteuern schon bei geringen Geschwindigkeiten – die DS ist definitiv zu kopflastig.
Besser wird das nicht mehr, wenn wir jetzt zu mutig werden. Also stellen wir die DS wieder ab. Sie knackt und schnieft, sie ist sich die Kurvenhatz nicht mehr gewohnt. Waldegård, der 1969 und 1970 die Rallye Monte Carlo auf einem Porsche 911 gewonnen und 1979 den ersten offiziellen Fahrer-Rally-Weltmeistertitel (auf Ford) geholt hatte, soll begeistert gewesen sein von der V6-DS. Er war in jenem Jahren ja auch verschiedentlich mit SM bei Rallyes im Einsatz gewesen, doch die leichtere DS mit dem Sechszylindermotor sei mehr nach seinem Geschmack gewesen, sagt Huille. Und warum wurde dann doch keine Maserati-DS aufgelegt, Monsieur Huille, wenigstens für den Sport. Der Direktor des «Conservatoire» zuckt mit den Achseln. 1973 kam die Ölkrise, der in diesem Jahr aufgelegte GS Birotor musste nach nur 837 Exemplaren bereits wieder aus dem Modellprogramm verschwinden, weil er schlicht zu viel verbrauchte, und beim SM brachen die Verkaufszahlen komplett ein, von noch 4036 Stück im Jahre 1972 auf 2619 Stück (und dann 294 und schliesslich noch 115 im letzten Produktionsjahr 1975); es hätte also wenig Sinn gemacht.
Schade, eigentlich.
Text: Peter Ruch
Fotos: Radical-Classics