Ferrari 356 GTB - Fanaticar Magazin

Ferrari 356 GTB4 – Fanaticar Magazin

Die Bezeichnungen bei Ferrari, das war ja einst ein ganz logische Geschichte: der Hubraum wurde geteilt durch die Anzahl der Zylinder. Natürlich gab es immer Ausnahmen, und heute ist sowieso alles anders, doch Ende der 60er Jahre war alles noch gut und klar und ergab auch Sinn. Aber schon damals war dies den Journalisten irgendwie zu langweilig, zu trocken, und weil die Ferrari dann halt alle offiziell 250 GT hiessen oder 365, erhielten sie Übernamen. Manchmal waren sie erfreulich, manchmal halt nicht so: der 365 GT 2+2, präsentiert 1967 auf dem Pariser Auto-Salon, wurde bald schon als «Queen Mary» bezeichnet, und das ist nicht als Lob zu verstehen, ganz egal, ob nun auf Maria I. Tudor (1516-1558), Maria II. (1662-1694) oder die Schiffe mit diesem Namen angespielt wurde.

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365 ist also klar: 4,4 Liter Hubraum (4390 ccm, um genau zu sein, Bohrung x Hub: 81 x 71 Millimeter), 12 Zylinder. Es ist dies der Lampredi-Motor, der schon 1950 konstruiert worden und als Renn-Maschine gedacht war. Beim 365er von 1966 kam er erstmals in einem Strassen-Fahrzeug von Ferrari zum Einsatz, mit 320 PS. Zuerst wurde er in das 1966 in Genf vorgestellte 365 California Cabriolet eingebaut, von dem 20 Stück entstanden. Es folgte der 365 GT 2+2, eben: Queen Mary, und das war halt schon ein Dickschiff. Wie Ferrari in jenen Jahren überhaupt ein wenig ein Problem hatte, der 275 GTB – gebaut ab 1964 – war zwar ein wunderbares Automobil, doch gerade optisch schon ein wenig in die Jahre gekommen, vor allem im Vergleich mit dem 1966 vorgestellten Miura.

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Auch wenn Enzo Ferrari das natürlich niemals zugegeben hätte, doch die noch junge Marke aus Sant’Agata machte ihm schon Kopfweh. Der Miura war zwar ein Vieh, schwer zu fahren, doch plötzlich stand nicht mehr Ferrari in der Sportwagen-Sonne, sondern ein Mann, dem der «Commendatore» einmal an den Kopf geworfen hatte, er könne nicht autofahren. Ferrari verkaufte in jenen Jahren mehr quasi-Viersitzer als echte Sportwagen, und man brauchte in Maranello dringend wieder ein Gerät, mit dem man der Welt zeigen konnte, wo Gott hockt. 1966 begann mit der Entwicklung eines Fahrzeugs, das später auch mit einem Übernamen berühmt wurde: dem 365 GTB/4, genannt Daytona.

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Damit das auch mal klar ist: Ferrari hat den 365 GTB/4 nie Daytona genannt, bis heute nicht. Es heisst, der Wagen habe seine Bezeichnung von italienischen Journalisten schon erhalten, bevor er überhaupt auf den Markt kam, man benannte das Gerücht von einem «echten», wieder sehr sportlichen Modell nach dem glorreichen Sieg bei den 24 Stunden von Daytona im Jahr 1967, wo Bandini/Amon auf einem 330 P4 vor Parkes/Scarfiotti, ebenfalls 330 P4, und Rodriguez/Guichet, 330 P3, einen dreifachen Triumph herausgefahren hatten. Wie die Queen Mary sollte auch der Daytona bedeutend mehr Berühmtheit erlangen unter seinem Übernamen.

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Die Entwicklung des 365 GTB/4 begann also spät im Jahre 1966, zuerst einmal wurde ein 275 GTB/4 umgebaut. Das neue Design stammte natürlich von Pininfarina, genauer: von Leonardo Fioravanti. Er habe sieben Tage lang ununterbrochen an seinem Entwurf gearbeitet, heisst es, habe einen Moment wahrer und tiefer Inspiration erlebt, sagt Fioravanti, die Zeichnungen dann Sergio Pininfarina gezeigt, der begeistert war, und Pininfarina wiederum sei damit zu Enzo Ferrari geeilt, der das Design sofort abnickte. Fioravanti bezeichnet den 365 GTB/4, selbstverständlich, als sein allerallerbestes Stück, und meint auch heute noch: «Da gibt es nicht viel, was ich heute anders machen würde.» (Fioravanti war ausserdem verantwortlich für den 206/246 Dino, auch ein ganz, ganz grosser Wurf, die Berlina des Lancia Gamma, das Coupé des Fiat 130 sowie für diverse Ferrari, 365 GT/4 BB, 308, 288 GTO.) Gebaut wurde der Daytona dann allerdings bei Scaglietti, nicht bei Pininfarina.

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Auch wenn der Miura nicht spurlos an Maranello vorbeiging: Enzo Ferrari durfte noch ein letztes Mal seiner Liebe zu Fahrzeugen mit Frontmotor frönen. Es gab da zwar schon den 250 LM, doch wie sagte der «Commendatore» so schön: «Ein Pferd spannt man vor den Wagen, nicht dahinter.» Andererseits: als der 365 GTB/4 dann 1969 in Produktion ging, da wurde der erste Mittelmotor-Ferrari für die Strasse, der 365 GT/4 BB, bereits angeschoben, da hielt es der grosse Meister wie so viele Politiker: was interessiert mich mein Geschwätz von gestern. So gesehen, war der Daytona also eigentlich nur eine Zwischenlösung – aber was für eine.

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Erstmals gezeigt wurde der 365 GTB/4 auf dem Pariser Salon 1968, und zwar gleich doppelt, einmal bei Ferrari, einmal bei Pininfarina (eine schöne Tradition, übrigens, wer flink war, konnte die neuen Ferrari manchmal zuerst beim Designer schon mal betrachten). Fünf Prototypen wurden gebaut (wen es interessiert: Chassisnummern 10287, 11001, 11795, 11929 und 12037 – was immerhin schön aufzeigt, dass die Produktion bei Ferrari auf Hochtouren lief). Das Design: ewige Liebe. Zwar stand der 365er auf dem gleichen Stahlrahmen wie der 275er und hatte auch den gleichen Radstand (2,4 Meter), doch die Spur war deutlich breiter. Die ewig lange Motorhaube, der Wagen geduckt zum Sprung, irgendwie kühl und irgendwie wie die Vorstellung von Claudia Cardinale, Sophia Loren und Monica Bellucci – jede der Damen zu ihrer Zeit, selbstverständlich – im gleichen Bett.

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GTB steht für «Gran Turismo Berlinetta». Und die 4 hinter dem Schrägstrich steht für vier obenliegende Nockenwellen, zwei pro Zylinderbank. Bei einer Verdichtung von 9,3:1 kam der klassische V12 auf eine Leistung von 353 PS bei 7500/min, das maximale Drehmoment von 432 Nm erreichte er bei 5000/min. Sechs Weber-Doppelvergaser, Trockensumpf-Schmierung (16 Liter Öl!), Transaxle, das 5-Gang-Getriebe war vor der Hinterachse eingebaut. «Autocar» schaffte den Spurt von 0 auf 100 km/h in 5,4 Sekunden, als Höchstgeschwindigkeit wurden von den Engländern 274 km/h erreicht; das deutsche Magazin «Motor Revue» kam sogar auf 282 km/h. Das brauchte aber ziemlich viel Mut («auto, motor und sport» bezeichnete den Daytona als «Männerauto»), denn die vier Scheibenbremsen waren zwar feinst innen belüftet, doch die zu kleinen Scheiben waren definitiv auch eine der Schwächen des Ferrari. Eine andere: der Verbrauch. 20 Literchen verbrauchte der V12 schon im Stand, unter 30 ging nicht viel. Da reichte dann halt auch der 100-Liter-Tank nicht sehr weit. Aber so richtig Langstrecke wollte mit dem Gerät eh niemand fahren, Lenkung, Pedale, Getriebe erforderten viel Kraftaufwand, wer schnell unterwegs sein wollte, brauchte höchste Konzentration (das galt ja auch für den Miura, der bei Geschwindigkeiten über 200 km/h zum Fliegen neigte).

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Und wir sprechen auch von: 1500 Kilo. Wie die zusammenkommen konnten, ist irgendwie unklar, denn es gab ja noch keine sieben Airbags und Infotainment und 82 Kilometer Kabel. Und Ferrari verwendete schon fleissig GFK, zumindest dort, wo man es nicht sehen konnte. Die Türen und die Motorhaube aus Alu, ab Chassisnummer 15701 waren dann die Türen aus Stahlblech inklusive Seitenaufprallschutz (der Hauptmarkt, die USA, verlangte das so), was das Gewicht weiter in die Höhe trieb, auf mindestens 1,6 Tonnen. Das merkt man, in der Kurve, das Ding ist schwer und schwer zu halten. Überhaupt die Arbeit am Lenkrad: so ein Daytona hat einen Wendekreis wie ein toter Wal. Und bis er einigermassen warm ist, fährt man nur in den Gängen 1, 3 und 5, die geraden Zahlen gehen nur mit Gewalt rein. Der Rückwärtsgang auch, man sollte den 365er also g’scheit hinparkieren.

Noch eine entscheidende Veränderung war dem amerikanischen Markt geschuldet: die Schlafaugen. Die ersten Exemplare verfügten noch über Plexiglasscheiben vor den Scheinwerfern, doch in den USA durften vor den Scheiben keine Scheiben mehr sein, also wurde das Plexiglasband durch Klappscheinwerfer ersetzt. Enzo selber, heisst es, habe entschieden, dass alle Daytona diese Dinger erhalten müssen, nachdem er die ersten dieser schweren Augenlider gesehen hatte. Doch der «Commendatore» trug ja auch eine fette Brille.

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1280 Stück von den GTB/4 wurden bis 1974 gebaut. Sie gehörten einst zu den teuersten Ferrari-Klassikern überhaupt, doch unterdessen hat sich ihr Wert auf einem vernünftigen Niveau eingependelt, so ab einer Viertel-Million ist man dabei, Tendenz: stabil. Was erstaunlich ist, denn sonst werden ja alle Ferrari nur noch teurer, der Daytona hat seine Glanzzeiten aber hinter sich, denn da wurden auch schon fast siebenstellige Beträge für gute Exemplare mit prominenten Vorbesitzern bezahlt. Teurer und mit steigender Tendenz sind dann da noch die 125 Stücker des GTS/4, also: die Daytona Spider. Von denen berichten wir dann auch noch.

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Text: Peter Ruch:
Fotos: Courtesy of RM Auctions