Als kleiner Junge ist man noch nicht versaut. Nein! Da gibt es noch keine Diskussionen über effiziente Motoren, Downsizing und einem möglichst ökobewussten Voranschreiten. Nein! Als kleiner Junge nimmt man seine favorisierten Spielzeugautos in die Hand und ahmt mit quiekender Stimme die Motoren nach, zum Leidwesen der Eltern. Dieser quiekende Junge erwachte jüngst wieder in mir, denn man gab mir für zwei Wochen den Schlüssel eines Chevrolet Camaro 45h Anniversary Edition in die Hände noch dazu als Cabriolet.
Schon der erste Anblick lässt mir Tränen in die Augen schießen. Ich habe sie verpasst, die Zeit der alten Muscles. Als der Camaro vor 45 Jahren das Licht der Welt erblickte, hat man an die Produktion meiner Wenigkeit noch nicht mal ansatzweise gedacht. Schlussendlich wurden die Muscles und Ponys, egal ob nun Mustang, GTO, Firebird, Camaro, Challenger, Charger und wie sie noch alle hießen, der Garaus gemacht. Sie passten einfach nicht mehr in die Zeit. Die große Ölkrisen 1973 und 1979 brachen den Hubraumbiestern dann endgültig das Genick. Fürs Erste…
Denn als Ford 2004 mit dem neuen Mustang erneut eine Studie im alten Design der ersten Baureihe präsentierte, gab es bei den Fans kein Halten mehr. Der Mustang war wieder angesagt wie eh und je. Und um den Retro-Trend nicht zu verpassen, brachte Dodge 2008 den wuchtigen Challenger und Chevrolet 2009 den Camaro auf den Markt. Dieser basierte auf einer Konzept-Studie von 2005. Letzterer ist meiner Meinung nach die gelungenste Neuinterpretation der Ursprungsbaureihe.
Als Michael Bay dann einen weiteren Kindheitstraum mit Transformers in die Kinos brachte, war dies für Chevrolet ein absoluter Glücksfall. Denn der allseits beliebte Bumblebee vollzog sichtlich beleidigt von Schmach ein altes Auto zu sein, die Verwandlung vom 77er Camaro in die Neuste Variante. Kaum ein anderes Automobil hätte wohl zudem noch eine Chance gehabt, überhaupt dem lechzenden Blick von Megan Fox standzuhalten, die sich hier und da mit ihrem wohlgeformten Hinterteil an dem Transformer entlang schubberte. Klar, dass dies auch eine Transformers Edition nach sich zog.
Design: Sexy Retro
Kraftvoll steht er da. Die massive Front bekommt durch die in V-Form nach vorne gezogene Motorhaube ein aggressives Antlitz. Der große Powerdome auf der Haube sorgt nochmals für eine deutliche Präsenz. Zwischen den böse dreinschauenden Frontlichtern im Corona Stil kommt der pechschwarze Kühlergrill zum Vorschein. Wer diese bullige Fratze im Rückspiegel sieht, macht freiwillig Platz.
Wenn der Camaro dann spurt stark vorbeizieht, geht der Blick auf die stimme Seitenlinie, die sich am hinteren Kotflügel nochmals kurz hochzieht um dann mit dem Heck abzuschließen. Unkompliziert und ausdrucksstark im Design, aber dennoch mit einer Länge von 4,83 Meter und einer Breite von 1,91 Meter erstaunlich parkhausfreundlich geraten. Die ordentlich dimensionierten 20 Zöller passen gut ins Gesamtbild. Zudem sind sie erfreulich bordsteinkantenfreundlich. Ein großer Pluspunkt für den Alltagsbetrieb.
Die Schürze des kantigen Hecks ist nur für die europäischen Modelle erhältlich. Doppelte LED Leuchten sorgen auch hier für ein effektvolles Erscheinungsbild. Abgerundet werden sie von den großen, runden Auspuffblenden, die für den richtigen Ton sorgen.
Die physische Präsenz des Chevrolet Camaro ist beeindruckend. Kaum einer, der sich nicht nach dem amerikanischen Boliden umschaut. Und erstaunlicherweise hat sich im gesamten Testwagenzeitraum nicht ein einziger über das Auto brüskiert. Im Gegenteil. Kaum ein Pressewagen wurde so positiv in die Meinungsbildung aufgenommen wie der Camaro. Und noch schöner: Ami Fahrer, egal ob alt oder jung und welcher Marke, grüßen sich immer freundlich. Das möchte ich mal mit einem M3 erleben, dass mich ein C63 AMG freundlich begrüßt.
Der Innenraum der Chevrolet Camaro: Schick verpacktes Plastik
Der Innenraum des Camaro überzeugt mit einem schicken und durchdachten Design. Ok, die Verarbeitung ist nicht auf dem Level der deutschen Premiumhersteller, aber das stört den echten US-Enthusiasten herzlich wenig. Teile der Armaturen wurden mit Leder bezogen und bringen ein wenig Noblesse hinein. Auch die komfortablen Ledersitze mit Ziernähten bieten einen weitestgehend guten Seitenhalt. Auf der Rückbank ist es tatsächlich möglich, erwachsene Menschen einigermaßen artgerecht unterzubringen.
Ein schmales Display in der Mittelkonsole ruft die wichtigsten Funktionen auf. Bei starkem Sonnenschein ist dieses allerdings schwer abzulesen. Auf ein Navigationssystem wurde bis dato verzichtet, es soll aber im 2013er Model Einzug halten. Interessant ist auch die analoge Instrumentenanzeige vor dem Ganghebel. Sie sind eine Reminiszenz auf den legendären 69er Camaro und beinhalten Anzeigen für die Öltemperatur, den Öldruck und die Getriebeöltemperatur sowie für die Batteriespannung. Wirklich grandios ist die brachiale Soundanlage von Boston Acoustics, die die Ohren auch bei geöffneten Verdeck zum schlackern bringen.
Wo wir schon beim Verdeck sind. Das Cabriolet-Verdeck fügt sich auch im geschlossenen Zustand recht gesellig ins Gesamtdesign ein. Ist das Dach aber erst mal geöffnet, lässt sich der Verdeckkasten manuell durch eine Pernisage abdecken. Das dauert zwar eine Minute, und man muss dafür aussteigen, aber schaut dafür dann auch schicker aus. Etwas nervig mutet dagegen das Öffnen des Tankdeckels an.
Dies ist nur mit dem Schlüssel möglich. Eine einfache Tankdeckelverieglung wie sie mittlerweile so gut wie überall Standard geworden ist, wäre ein freudige Nachrüstung. Auch nervig: Die Fenster müssen nach dem Schließen des Verdecks nochmal nachträglich hochgefahren werden. Der Sichtradius ist dann Cabrio typisch deutlich eingeschränkt, wird aber durch die Parksensoren und der Rückfahrkamera weitestgehend kompensiert.
Zum Erlebnis wird der Camaro besonders bei Nacht. So zieht ein blaues Ambientlicht über die weißen Türabdeckungen. Auch die Anzeigeninstrumente und die Multimediabeleuchtung schimmern in Eisblau vor sich hin. Um auch bei schneller Fahrt immer den Überblick zu behalten, werden dem Fahrer die wichtigsten Funktionen wie Geschwindigkeit, Multimedia, Gang Wahl oder Navigation via Head Up Display auf dem Fenster projiziert.
Wer nun denkt, der Camaro ist aufgrund seiner imposanten Erscheinung kein Auto für den Alltag, wird schnell eines Besseren belehrt. Er besitzt einen kleinen Wendekreis und ist wahrscheinlich gerade aufgrund des alten Designs sehr übersichtlich geraten. So kann man optimal den Abstand nach vorn und hinten abschätzen. Im Heck sorgen zusätzlich Parksensoren und eine optimal positionierte Kamera für eine bessere Übersicht. Das Bild der Rückfahrkamera wird über den Rückspiegel angezeigt. Das ist auf den ersten Blick erst mal ungewohnt, aber am Ende wollte ich dieses System gar nicht mehr missen.
Der Kofferraum ist zerklüftet und lässt sich etwas umständlich beladen. Koffer haben hier nichts zu suchen. Zudem neigt die Verdecksicherung gerne dazu, sich schnell aus der Verankerung zu lösen. Bei vollgepackten Kofferraum erweist sich dies als äußerst störend, denn dann muss tief in den Kofferraum gegriffen werden, um die Sicherung wieder einrasten zu lassen.
Fahrleistungen des Chevrolet Camaro
Unter der langen Motorhaube wartet der 406 PS starke V8 Sauger darauf, gefordert zu werden. Wer sich für den Handschalter entscheidet, darf sogar 435 PS im Motorraum verbuchen. Kein Unbekannter, schließlich verrichtet er auch in der Corvette seinen Job. Und wie es sich für einen Ami gehört, wartet der Camaro mit ordentlich Hubraum auf. Voluminöse 6,2 Liter sorgen für eine imposante Drehmomentenfaltung von maximal 569 Newtonmetern. Die setzen der Hinterachse mächtig zu und lassen die Tempo Einhundert Marke in nur 5,6 Sekunden passieren. Erst bei Tempo 250 setzt Chevrolet dem Muscle die elektrische Kindersicherung rein.
Dann wütet im jedoch Innenraum aufgrund des fehlenden Windschotts ein wahrer Sturm. Merken: Niemals in Gegenwart einer frisch gestylten Frau ausprobieren! Das Echo darauf ist es nicht wert. Wo wir schon beim Sprit sind: Im Schnitt begnügte sich der Camaro mit einem Durchschnittsverbrauch von 14 bis 16 Litern. Dieser Wert wird unter anderem durch Zylinderabschaltung erreicht. Fährt der Camaro nicht unter Volllast, schalten sich vier der acht Zylinder ab. Verglichen mit den Ur Camaro eine echte Effizienzbestie – verglichen mit der Konkurrenz allenfalls Mittelmaß. Automobile Emotionen gibt es nun mal nicht for free.
Die Lenkung ist erstaunlich direkt und auch schnell gefahrene Landstraßenwindungen steckt der Camaro locker weg. Das liegt unter anderem an dem für den europäischen Markt optimierten Fahrwerk. Neu eingestellte Vorder- und Hinterradstoßdämpfer mit soliden Stabilisatoren sorgen für eine höhere Steifigkeit und Seitenstabilität. Ebenso wurde sehr viel Wert auf ein entspanntes Vorankommen bei Vmax gelegt. Das Fahrwerk ist dabei betont komfortabel ausgelegt und federt auch harte Unebenheiten ziemlich unbeeindruckt. Die europäische Überarbeitung hat die Geschäftsleitung in den USA übrigens so überzeugt, dass sie ab dem nächsten Modelljahr auch in den USA für alle höhere Ausstattungslinien angeboten wird.
Das Resultat ist auch in der Fahrpraxis überzeugend. Zwar sind die knapp zwei Tonnen Lebendgewicht nicht wegzudiskutieren, aber einmal dran gewöhnt lässt sich der Camaro mit einem Schuss Hecklastigkeit ums Eck bewegen. Auch bei harten links rechts Manövern bleibt das Fahrwerk sehr ausgewogen und schaukelt dabei nicht zu sehr auf. Natürlich lässt sich alles provozieren, doch auch im Grenzbereich erweist sich der Camaro als äußerst angenehm zu kontrollierendes Spaßgefährt. Besonders mutige Piloten deaktivieren dabei noch das ESP und geben dem prächtigen Hintern ordentlich Auslauf. Wird es dann doch brenzlig, sorgen Brembos für den schnellen Stop.
Wer dabei noch fix vorankommen möchte, sollte sich auf die Schaltwippen hinter dem Lenkrad verlassen, denn die Automatik reagiert recht träge und lustlos auf spontane Gasbefehle. Sie ist eher zum entspannten Gleiten angedacht. Im direkten Vergleich mit Mustang und Challenger, ist der Camaro den anderen beiden im Hinblick auf Querdynamik weit überlegen. Einzig bei engen Windungen schiebt es den Ami gelegentlich mal mit Schmackes über die Vorderräder. Im Allgemeinen gibt sich der Camaro sehr alltagstauglich und ist auch beim Einparken erstaunlich übersichtlich. Bei Nässe sollte der Gasfuß besonders bei Kurvenfahrten tunlichst auf Chillmodus schalten.
Fazit: Ein Auto für Jungs
Der Chevrolet Camaro beginnt als manuelles Coupé mit einem Preis von 39.990 Euro. Das hier getestete Chevrolet Camaro Cabriolet mit Automatik kostet mit 46.990 Euro nur gute 7.000 Euro mehr und bringt dazu noch eine gediegene Vollausstattung auf den Markt. So viel Auto für einen solchen Preis. Da kommt kein deutscher Premiumhersteller hinterher. Schaut man sich mal allein die Außenmaße und die Leistungsdaten an, fährt der Camaro in einer Liga mit BMW 650i und Maserati GT – und kostet dabei nur einen lächerlichen Bruchteil.
Wie ein bockiges Kind umklammere ich den Schlüssel des Camaro als er wieder abgeholt werden soll. Das ist meiner. Den will ich behalten. Ich möchte nicht wieder in die Realität raus. Möchte mich nicht mit den ach so schlimmen Dingen des Alltags beschäftigen. Der Camaro hat mich in diesen Tagen mit all seiner Präsenz zum Strahlen gebracht. Sch… auf das Plastik im Innenraum, Sch… auf Perfektion und sch…. auf den Durst. Dieses Auto verkörpert primär eins: Emotionen. Kind sein tut manchmal so gut – spielen Sie gedanklich auch schon mit Ihrem alten Spielzeug herum?
Leistungsdaten Chevrolet Camaro V8 Cabriolet
Motor: V8 (Sauger)
Hubraum: 6.162 ccm
Getriebe: 6 Stufen Automatikgetriebe
Drehmoment: 556 Nm/ 4.300 U/min
Höchstgeschwindigkeit: 250 km/h
Beschleunigung 0 auf 100 km/h: 5,6 s
Gewicht: 1.995 Kilogramm
Reifengröße vorne: 245/45R20
Reifengröße hinten: 275/45R20
Länge: 4.836,8 mm
Breite: 1,917 mm
Kofferraumvolumen: 328 Liter
co2 Emission: 304 g/km
Durchschnittlicher Kraftstoffverbrauch: 13,1 l auf 100 km
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Text: Mario-Roman Lambrecht
Fotos: marioroman pictures
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